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„Geldunterricht ab Klasse 9“: Anette Weiß des Geldlehrer e.V. im Interview

Depotstudent Dominik
4.8
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Liebe Depotstudent-Leserschaft, heute habe ich eine spannende Interview-Partnerin mitgebracht!

Anette Weiß ist Vorstandsvorsitzende des Geldlehrer e.V. – sie hat sich für ein Interview bereit erklärt und konnte mir spannende Antworten rund um Finanzbildung an Schulen und das Konzept der „Geldlehrer“ geben.

Viel Spaß mit dem Interview!

Hallo Anette und herzlichen Dank, dass Du Dir die Zeit für das Interview mit mir nimmst! Stelle Dich und Deine Rolle beim „Geldlehrer e.V.“ doch gerne kurz vor.

Ich bin Anette Weiß und hauptberuflich in der Erwachsenen-Finanzbildung tätig.Von Haus aus Bankfachfrau, arbeite ich aber schon lange selbständig als Finanzcoach, Dozentin und Speakerin.

Durch meine Tätigkeiten im Bereich der Finanzbildung bin ich bereits sehr früh zum Geldlehrer e.V. gestoßen, der 2010 gegründet worden ist. Seit ca. 2 Jahren bin ich Vorstandsvorsitzende des Geldlehrer e.V.

Unser Ziel ist es, grundsätzliche und praxisrelevante Finanzbildung in die Schulen zu bringen, weil dort nichts (oder nur wenig) in dieser Hinsicht gelehrt wird.

Warum hat Finanzbildung eine so große Relevanz? Geht es nicht auch ohne?

Für mich persönlich hat Finanzbildung bereits durch meinen Werdegang eine große Relevanz, da ich nach 20 Jahren Bankerfahrung dann in der Selbständigkeit als Honorarberaterin sehr schnell festgestellt habe, dass auch eine sehr gute Beratung nur wenig nützt, wenn das Gegenüber wenig finanzielles Grundwissen mitbringt. Finanzielle Grundbildung ist bis heute kein Allgemeinwissen, sie wird nirgendwo in unserem Bildungssystem gelehrt.

In einer Finanzberatung werden natürlich auch viele Finanzinformationen vermittelt, aber bereits nach kurzer Zeit ist den meisten Menschen gar nicht mehr bewusst, auf welcher Basis bestimmte Entscheidungen getroffen wurden. Und nach einigen Jahren kennen viele ihre eigenen Produkte gar nicht mehr. Für eine gute Finanzberatung braucht man den fruchtbaren Boden souveräner Finanzkompetenz, damit die neuen Informationen richtig aufgenommen und bewertet werden können.

Ich bin daher der Meinung, dass überhaupt nur mit einer grundsätzlichen finanziellen Allgemeinbildung eine wirklich gute Finanzberatung möglich ist. Es geht um das Grundverständnis von Zusammenhängen.

Wenn man als Berater sagt, „Sie müssten 450 Euro jeden Monat zur Seite legen, damit das was wird mit Ihrer Altersvorsorge“, dann gibt es erst einmal erstaunte Gesichter. Viele Menschen können kaum nachvollziehen, woher solche Zahlen kommen oder wie sich die Inflation im Laufe der Zeit auswirkt.

Wenn Menschen jedoch selbst zu rechnen anfangen, dann haben sie sich ihre Zahlen selbst erarbeitet und wissen, woher sie kommen und was sie beeinflusst.Mit finanzieller Grundbildung haben Menschen also eine andere Motivation, ihre – auch hohen – Sparraten langfristig durchzuziehen.

Sie werden dann auch nicht so sehr dazu neigen, für eine Hochzeit, einen Urlaub oder andere Ausgaben ihr für die Altersvorsorge angespartes Geld einfach so auszugeben. Denn sie wissen ja, warum der damals festgelegte Sparbetrag so ausgewählt wurde.

Der Geldlehrer e.V. bringt Finanzbildung an Schulen (ab der 9. Klasse): Kannst Du das Konzept etwas genauer beschreiben?

Teils kommen wir auf die Schulen zu und teils kommen Schulen auf uns zu, um den Geldunterricht anbieten zu können.

Es gibt aktuell rund 150 Geldlehrer und etwa 40.000 Schulen. Die Diskrepanz ist offensichtlich – und da es sich ja immerhin um ein Ehrenamt handelt, suchen sich die Geldlehrer tendenziell Schulen im direkten Umkreis aus.
 
Wir versorgen alle Schularten ab der 9ten Klasse mit Geldunterricht. Die SchülerInnen sollten wenn möglich eher 15 als 14 Jahre alt sein, was es an den Hauptschulen manchmal etwas schwierig macht, aber vor dem Eintritt ins Erwerbsleben natürlich absolut sinnvoll ist.

Das Konzept des Geldunterrichts sieht wie folgt aus: Im Idealfall wird der Geldunterricht in den normalen Unterricht eingebaut, dafür geben einzelne Lehrer Schulstunden ab und diese werden von den Geldlehrern gefüllt.

Das Grund-Curriculum umfasst 22 Schulunterrichtsstunden und endet mit einer Abschlussprüfung und Zertifikatsvergabe. So entsteht kein zeitlicher Zusatzaufwand für die Schüler und wir erreichen alle SchülerInnen.

Falls das Einbinden in den regulären Unterricht aus organisatorischen Gründen nicht möglich ist, bieten wir den Geldunterricht auch als freiwillige AG an. Im Rahmen einer solchen AG kann der/die GeldlehrerIn den Geldunterricht natürlich auch zeitlich ausdehnen und Themengebiete vertieft behandeln. Auch dort ist die Abschlussprüfung gesetzt und es gibt ein Zertifikat für die erfolgreiche Teilnahme. Wir raten unseren Schülern immer, das Zertifikat zu ihren späteren Bewerbungen beizulegen, denn das kommt bei den Arbeitgebern sehr gut an.

Welche Themen werden im „Geldunterricht“ in erster Linie behandelt?

Im Geldunterricht möchten wir bilden und nicht nur informieren. Wir besprechen also auch Themen wie: Was ist Geld, wo kommt es her? Was macht Geld mit uns?

Auch über den Geldumgang in den Familien wird gesprochen und Glaubenssätze wie  „Über Geld spricht man nicht!“ werden aufgearbeitet.

Wir sprechen über finanzielle Lebensentscheidungen wie Hauskauf, Berufswahl oder Kinder – hier sind die Eltern immer besonders begeistert, wenn wir auch mal ausrechnen, wie viel es gekostet hat, die Schülerinnen und Schüler bis jetzt großzuziehen.

Hierbei ist es uns wichtig, dass die Schüler verstehen, dass auch vorgeblich nicht-finanzielle Entscheidungen wie die Partnerwahl finanzielle Konsequenzen haben können.

Auch die folgenden Themen werden behandelt und vor allem auch berechnet: Inflation (statistisch, persönlich), die gesetzliche Rente, Finanzierungen, Leasing. Was kostet ein Haus? Was kostet ein Auto? Was ist eine Rentenversicherung?

Eine beliebte Hausaufgabe ist es z.B., den SchülerInnen aufzutragen, die gesetzliche Rente der Eltern mit ihnen zusammen auszurechnen und ihnen zu erklären. So gibt es auch für die Eltern auch noch eine Portion Finanzbildung on top.

Was uns wichtig ist: Wir geben keine Meinung vor und erheben nur ganz selten den Zeigefinger. Die jungen Menschen erarbeiten sich fakten- und zahlenbasiert ihre eigenen Meinungen mittels unseres sehr diskursven Unterrichtsstils.

Auf Eurer Website heißt es: „Unsere Vision ist es, dass kein junger Mensch mehr ohne praktische finanzielle Allgemeinbildung ins Erwerbsleben starten muss“. Kann der Geldlehrer e.V. das alleine schaffen oder baut Ihr langfristig auf die Bildungssysteme in Deutschland, Österreich und der Schweiz?

Österreich und die Schweiz haben bereits eine nationale Finanzbildungsstrategie. Deutschland startet jetzt als 58tes Land mit der „Initiative Finanzielle Bildung“ ebenfalls gerade einen Anlauf.

Geldlehrer e.V. kann die grundsätzliche finanzielle Allgemeinbildung der Bevölkerung natürlich nicht alleine vermitteln. Aber es ist unser Traum, an jeder Schule eine/n GeldlehrerIn fest zu installieren, so dass alle Schüler automatisch den grundsätzlichen Geldunterricht durchlaufen würden. Wir müssen also genauso viele Geldlehrer wie Schulen ausbilden oder der Geldunterricht würde allgemein in die Lehrpläne aller Bundesländer aufgenommen werden – was uns aber angesichts unseres föderalistischen Bildungsystems reichlich utopisch erscheint.

Für Geldlehrer e.V. ist es also vor allem ein Finanzierungsproblem, all die Geldlehrer auszubilden, die wir bräuchten.

Müssen Schulen für die Leistungen bezahlen? Oder kann sich der Geldlehrer e.V. rein aus anderen Quellen wie z.B. Mitgliedsbeiträgen finanzieren?

Nein, weder Schulen noch Schüler müssen für den Geldunterricht bezahlen.

Der Verein finanziert sich über die Mitgliedsbeiträge, über die Ausbildungshonoraren und über freundliche Spenden von Privatpersonen oder Unternehmen.

Eine Ausbildung zum Geldlehrer für Professionals kostet 2900 €. Professionals sind Menschen, die aus dem Geldlehrertitel Reputationsvorteile ziehen können, also zum Beispiel Finanzberater, Bankmitarbeiter oder Influencer. Es gilt: Wer damit werben kann, Geldlehrer zu sein, wird als Professional eingestuft.

Für Non-Professionals (Lehrer, Eltern) kostet die Ausbildung 500 Euro plus Tagungspauschale der entsprechenden Lokalitäten.

Ich sehe häufig, dass junge Menschen kurz nach dem Berufsstart in Finanzprodukte (Versicherungen & Co.) geraten, die sie eigentlich gar nicht verstehen. Ist das auch Eure Erfahrung und eine Motivation des Geldlehrer e.V., so etwas zu verhindern?

Das ist genau das Ziel der Geldlehrer. Nach dem Geldunterricht lassen sich unsere ehemaligen Schüler ganz sicher von keinem „über den Tisch ziehen“, denn sie können ja rechnen.

Außerdem geben wir ein paar eherne Grundsätze (erhobene Zeigefinger) geben wir ja trotz aller Meinungsfreiheit dann doch mit, wie zum Beispiel: “Man unterschreibt nichts am gleichen Tag!”.
Und wir beleuchten die ein oder andere Verkaufsmanipulation, wie „Das Produkt gibt es nur noch heute“ oder “Was ist eine ja-Straße?” und sensibilisieren die Jugendlichen damit, Vorsicht walten zu lassen.

Was toll ist: Wir haben manchmal auch im Nachhinein noch Kontakt zu den Geschulten, teilweise über viele Jahre. Und an denen können wir beobachten, dass alle einen guten Weg machen und tolle finanzielle Entscheidungen treffen.
Daran kann man sehen, dass der Geldunterricht langfristig Wirkung zeigt und frühe finanzielle Allgemeinbildung sich auf das ganze Leben positiv auswirkt.

Ein kleines Beispiel: Selbst viele Erwachsene wissen gar nicht so genau, was hinter “brutto” und “netto” auf ihrer Gehaltsabrechnung steckt. Sie wissen nicht wirklich genau, was es heißt, sozialversichert zu sein und welche Vorteile sie damit (auch) haben. Wer aber Geldunterricht hatte, hat auch für diese Dinge ein komplett anderes Grundverständnis.

Diese jungen Menschen beschäftigen sich später ohne Berührungsängste und Vorbehalte mit Finanzthemen, weil sie z.B. schon den Begriff „bAV“ gehört haben und eine andere Bereitschaft besteht, sich dann zu gegebener Zeit solche Themen tiefer und bewusster anzueignen. Sie machen weniger Konsumschulden, haben höhere Sparraten und einen viel bewussteren Umgang mit Geld.

In den sozialen Medien (vor allem auf Instagram, TikTok & Co.) gibt es mittlerweile massenhaft Inhalte zu Geldanlage, Investments und angrenzenden Finanzthemen. Siehst Du solche Inhalte tendenziell positiv oder lauern hier eher Gefahren?

Hier muss ich aus zwei Perspektiven antworten: Einmal als Finanzcoach und einmal als Vereinsvorstand.

Für meine beiden Funktionen gilt: Menschen, Initiativen und Unternehmen im Bereich der Finanzbildung, die sowohl fachkompetent als auch mit der richtigen Intention unterwegs sind, sind Freunde.

Was ich als Finanzcoach allerdings schwierig finde, sind Menschen, die Finanzbildung vermitteln, aber selbst nicht oder nur in Spezialthemen finanzgebildet sind. In diesem Sinne können für mich auch Versicherungsmenschen oder Bankkaufleute nicht-finanzgebildet sein, obwohl sie eine Ausbildung haben.
 
Und bei den vielen Ratschläge der Influencer-Szene, bei denen ich die wohlmeinende Intention oft überhaupt nicht in Frage stellen möchte, sind doch immer wieder welche dabei, die ich absolut nicht positiv bewerten kann.
Vor allem, wenn diese Ratschläge nur aus der eigenen Erfahrungswelt heraus entwickelt wurden und nicht berücksichtigen (können), dass die Lebenswirklichkeit von anderen Menschen eben auch anders aussieht – und daher andere Ratschläge die Richtigen wären.

Ein Beispiel: Wenn ein Influencer schlechte Erfahrungen mit Riester gemacht hat und verkündet: „Riester ist Scheiße!“, so werden auch Menschen sich nicht mit Riester beschäftigen, obwohl es genau für sie das absolut richtige wäre, wie z.B. eine alleinstehende Frau in prekären Verhältnissen mit 3 Kindern.

Die Finanzwelt ist eben oft nicht nur schwarz oder weiß, es gibt auch eine ganze Menge Grautöne: Es kann immer Situationen und Individuen geben, in welchen bestimmte Produkte ideal sein können, die für andere absolut ungeeignet sind.

Umso finanzgebildeter die Leute werden, umso besser können sie auch entscheiden, von wem sie Inhalte annehmen: Wer ist integer und fachkompetent und was ist nicht ganz sauber?

Wie kann man sich engagieren und den Geldlehrer e.V. unterstützen?

Wir brauchen viel mehr GeldlehreInnen! Wer also ehrenamtlich junge Menschen mit dem Geldunterricht fördern möchte, ist herzlich eingeladen, Kontakt mit uns aufzunehmen und die Ausbildung zu machen.

Zusätzlich dürfen natürlich auch Nicht-Geldlehrer Förder-Mitglied des Vereins werden und uns unterstützen und mitgestalten: 99 € im Jahr ist der Mitgliedsbeitrag.

Und selbstverständlich freuen wir uns sehr über Spenden von Privatpersonen oder Unternehmen: Es gibt einen nicht unerheblichen Kostenblock in so einem Verein für Themen wie Bürokratie, Steuer und Verwaltung.

Ansonsten gilt natürlich: Macht uns gerne bekannt, z.B. an Schulen. Je mehr Menschen den Geldunterricht für ihre Kinder haben wollen, desto eher werden die Schulen Geldlehrer ausbilden.

Vielen Dank, Anette!

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3 Kommentare

  1. Hallo zusammen,

    Finde ich Tendenziell sehr gut. Ich wünschte das hätte Es zu meiner zeit gg. Dann hätte ich jetzt nicht Sechs Kinder und kein geld.
    Aber im ernst :
    Finanzielle grundbildung finde ich sehr wichtig und richtig. Leider ist das viel zu modern für unser eingestaubtes bildungswesen. Leider muss ich an dieser stelle sagen, Das auch ich sehe zu spät verstanden habe, Dass ich mich selber um mein geld kümmern Muss Und mich dabei nicht auf andere verlassenkann. Seit dem ich das tue, Habe ich sehr gute renditen erzielt. Auch die kündigung meiner Legensversicherung War eine der äußeren Entscheidungen meines Lebens.
    Zwar ist finanzielle grundbildung Absolut essenziell, dennoch Kann sich in der Zeit zwischen Neunter klasse und Beruf s leben Ziemlich viel seale auf den Finanz Märkten verändern. Früher hat zum Beispiel niemand gewusst, was ein Ets ist ist und wie sie funktionieren. Wer heute keinen besitzt, der hat keine finanzbildung. In moment ist die finanzwelt ohnehin aus den fugen geraten. Dieses wissen wird So nicht mehr gelten, Wenn diese Zinsphase Erst einmal abgeschlossen ist. Und wenn die Welt Light Währung nicht mehr der Dollar ist sondern der Deutsch russische Reichsrubel Dann werden die meisten gar nichts mehr verstehen.
    Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass das Bankkaufleute keine finanzielle Bildung Haben. Der Hund ist da begraben, Diese menschen nicht anderes verkaufen dürfen, als Die Bank zulässt.

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