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„Vom Doktoranden zum Finanzberater“
So, meine Lieben. Da es mich persönlich interessiert hat, wie mein Bloggerkollege Jürgen seine Zeit als MLP-Berater erlebt hat, habe ich mich mit ihm vor Kurzem in Verbindung gesetzt. Und da diese Erfahrungen für viele andere Menschen mit Sicherheit interessant sein können, habe ich ihn um einen Erfahrungsbericht gebeten. Und hier ist er. 🙂 Danke, Jürgen!
Zunächst eine kurze Vorstellung:
Dr. Jürgen Nawatzki war in den neunziger Jahren Berater bei der MLP AG in Hamburg. In dieser Zeit war die Geschäftsstelle Hamburg II einmal beste MLP Geschäftsstelle bundesweit. Heute betreibt er den Finanzblog ETF-Blog.com, wo es um Geldanlage und Altersvorsorge mit ETFs geht.
Viel Spaß mit Jürgens MLP-Erfahrungsbericht!
Finanzblogger bin ich erst seit gut 5 Jahren. Und zwar auf ETF-Blog.com. Früher war ich u. a. bei der MLP AG, wo ich nach meiner Promotion im Jahre 1993 als Finanzberater ins Berufsleben außerhalb der Uni startete.
Inhalt
Wie ich zur MLP AG kam
Nach meinem BWL-Studium war ich zunächst Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Organisation und EDV der Uni Münster und schrieb eine Doktorarbeit über integriertes Informationsmanagement.
Dabei ging es darum, wie man IT so einsetzt, dass sowohl ihre organisatorischen Gestaltungspotenziale ausgeschöpft und zusätzlich die personalpolitischen Implikationen berücksichtigt werden. Mit kurzen Worten: Es ging um die Koordination von EDV, Organisation und Personal bei der Implementierung von Informationstechnik im Unternehmen.
Im Juli 1993 wurde ich promoviert, doch leider ging es zu dieser Zeit wirtschaftlich weltweit in eine Rezession und viele Unternehmen stellten keine neuen Mitarbeiter mehr ein.
Ich schrieb zahlreiche Bewerbungen und erhielt nur Absagen. Doch auf eine längere Arbeitslosigkeit hatte ich einfach keine Lust.
Da begann ich, mich mit der MLP Finanzdienstleistungen AG zu befassen, die damals vom Manager Magazin mehrere Male in Folge zur besten deutschen Aktiengesellschaft gewählt worden war und Berater suchte, weil das Unternehmen damals stark expandierte.
Das Konzept war: Akademiker beraten Akademiker in allen finanziellen Fragestellungen. Über Versicherungen und Geldanlage bis zu Immobilienfinanzierungen und Existenzgründungen. Dabei waren die MLP-Berater meist auf eine oder zwei akademische Berufsgruppen spezialisiert. So gab es Berater, die nur Mediziner berieten oder Juristen oder Wirtschaftswissenschaftler und Ingenieure.
Dabei verfügten die jeweiligen MLP-Berater über berufsgruppenspezifisches Know how und sprachen dieselbe Sprache wie ihre Zielgruppe.
MLP-Berater sind selbständig aber weisungsgebunden
MLP-Berater sind von Beginn an selbständig. Sie erhalten zunächst einen Vorschuss, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, verdienen diesen aber mit ihren Umsätzen zurück und sind irgendwann „aus dem Vorschuss“, das heißt, dass sie beim Unternehmen keine Schulden mehr haben und ihren Lebensunterhalt durch Provisionen und Honorare verdienen.
Zwar sind sie wirtschaftlich selbständig, aber dennoch – in gewisser Weise – auch weisungsgebunden; beispielsweise ist die wöchentliche Montagsrunde unternehmensweit in den verschiedenen Geschäftsstellen institutionalisiert und jeder Berater sollte bei dieser anwesend sein.
Beispielsweise waren Dialoge wie der Folgende damals durchaus üblich:
Berater: „In Heidelberg fahren Busse mit dem MLP-Emblem durch die Stadt. Warum haben wir das nicht auch in Hamburg?“
Geschäftsstellenleiter: „Wenn du in Hamburg Busse mit dem MLP-Emblem sehen möchtest, dann mach mal, du bist ja schließlich selbständig . . . Und denkt dran, dass Ihr Montag um 10:00 Uhr zur Montagsrunde da seid.“
Auch die Teilnahme an den meist mehrmals pro Jahr stattfindenden Hauptseminaren war Pflicht, denn diese dienen der Fortbildung der Berater.
Der Aufbau eines eigenen Kundenstammes
Zu Beginn muss sich jeder angehende Berater einen eigenen Kundenstamm aufbauen und wird in der Unternehmenszentrale in Heidelberg sowie in den Geschäftsstellen und im Selbststudium ausgebildet.
Im ersten halben Jahr war ich abwechselnd jeweils eine Woche in Heidelberg und dann wieder eine Woche in meiner Geschäftsstelle in Hamburg.
Junge MLP-Berater bauten sich damals einen Kundenstamm auf, in dem sie an der Uni für sogenannte Berufsstarter-Seminare akquirierten, für die sie StudentInnen im Examensjahrgang beispielsweise bei der Anmeldung zum Examen ansprachen und in die Geschäftsstelle zum Seminar einluden. Dort ging es u. a. darum, wie man sich richtig bewirbt und um die finanzielle Absicherung beim Berufsstart. So lernte man sich kennen und im Idealfall auch schätzen.
Zunächst benötigen junge Akademiker einen ersten Baustein zur Altersvorsorge und eine Berufsunfähigkeitsversicherung.
MLP ist ein innovatives Unternehmen und kreierte häufig gemeinsam mit Versicherungs- und Kapitalanlagegesellschaften neue Produkte.
Kapital-LV als Brot- und Buttergeschäft der MLP AG
Das Hauptprodukt war damals bei MLP die kapitalbildende Lebensversicherung. Das war im Prinzip bei allen Finanzvertrieben so, da es hier hohe Provisionen zu verdienen gab. Manch ein Berater konnte sich von seinem Einkommen einen teuren Sportwagen und /oder in jungen Jahren ein schönes Haus leisten. Zum Teil verdienten erfolgreiche Berater mehrere Hunderttausend Mark pro Jahr.
Die Berater wurden angehalten, ihren Interessenten bzw. Kunden nicht nur eine Lebensversicherung zu verkaufen, sondern im Idealfall gleich zwei bis drei.
Und zwar eine Kapital-LV mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung und Airbag, der die Basisabsicherung für den Fall einer Berufsunfähigkeit darstellte. Dabei bedeutete Airbag, dass im Falle einer Berufsunfähigkeit eine weitere Kapital-Lebensversicherung für den Versicherungsnehmer abgeschlossen wurde, so dass er bis 60 eine BU-Rente erhielt und danach genug Geld ausgezahlt wurde für die Lebensphase als Rentner.
Dieser erste Absicherungsbaustein wurde oft durch eine fondsgebundene Kapital-Lebensversicherung ergänzt, die als Renditebaustein diente.
Und das i-Tüpfelchen war ein sogenanntes Investitionssparprogramm zur Finanzierung einer Immobilie oder einer Existenzgründung obendrauf. Natürlich auch wieder eine speziell ausgestattete Kapital-Lebensversicherung, die als Basis für die Finanzierung über eine Tilgungsaussetzung diente.
Junge MLP-Berater erhielten anfangs etwa 20 Promille Provision und ab einer bestimmten Umsatzgrenze ca. 25 Promille, soweit ich mich richtig erinnere.
Das bedeutet, dass ein junger Berater für den Fall, dass er seinem Kunden drei Lebensversicherungen auf einen Schlag verkaufte, ca. 6.000 Mark an Provision verdiente und ein gestandener Berater ca. 7.500 Mark. Manche Berater brauchten dazu nur zwei bis drei Beratungsgespräche.
Es gab Berater, die wahre Verkaufstalente waren und sich dumm und dusselig verdienten, aber sie waren in der Minderheit. Andere Berater verkauften hin und wieder eine LV und andere so gut wie gar nichts und verließen das Unternehmen spätestens nach einem Jahr wieder. Die Fluktuation in dieser Branche war schon immer hoch.
Auch im Bereich Geldanlage war MLP innovativ. So hatte das Unternehmen zusammen mit einer Kapitalanlagegesellschaft ein Produkt kreiert, bei dem zunächst eine Liquiditätsreserve in einem Geldmarktfonds angespart wurde bis ein zuvor definierter Überlauf erreicht war und weitere Sparbeiträge dann automatisch in zuvor ausgewählte klassische Investmentfonds flossen. Und damals mussten die Kunden die Ausgabeaufschläge bei Investmentfonds noch voll und ganz bezahlen.
Ich war damals bei MLP in der Geldanlagegruppe, die aus Spezialisten der Unternehmenszentrale und ausgewählten Beratern bestand und führte u. a. Verkaufsschulungen im Bereich Geldanlage durch. Zusätzlich wurden in der Geldanlagegruppe immer wieder neue Produkte angedacht. Als Belohnung winkten Incentive-Reisen, z. B. drei Tage Istanbul oder Lissabon mit allem Drum und Dran. Luxus pur mit 5 Sternen.
Es war viel Druck im Kessel
Jeder Berater wurde entsprechend der Dauer seiner Unternehmenszugehörigkeit budgetiert. Vorstand war damals neben Unternehmensgründer Manfred Lautenschläger Dr. Bernhard Termühlen, der extrem ehrgeizig war und das Unternehmen in den Dax führte.
Lag man mit seinem Umsatz im Soll oder gar darüber, wurde man gelobt und diente als Vorbild innerhalb der Geschäftsstelle. Es gab sogar Berater, die so erfolgreich waren, dass sie eine Tournee durch die Geschäftsstellen machten und ihr Beratungskonzept dort vorstellten. Lag man jedoch unterm Soll, wurde Hilfe angeboten. Je weiter man vom Soll entfernt war, desto eindringlicher wurden die Hilfsangebote.
Das, was damals interessierte, war vor allem der LV-Umsatz. Sonst zählte kaum etwas. In jeder Montagsrunde wurden die Umsatzstatistiken besprochen und man musste sich gegebenenfalls rechtfertigen.
Wer in jüngerer Zeit die beiden Staffeln der Fernsehserie Bad Banks gesehen hat, hat einen Eindruck gewonnen, wie es im Investmentbanking bzw. im Finanzvertrieb zugeht. O-Ton des charismatischen Investmentbankers Gabriel Fenger, als die Zeit knapp wurde, um ein Verkaufsziel zu erreichen: „Und Leute, fresst mehr Weißbrot, damit Ihr nicht dauernd kacken müsst!“ In jeder reinen Vertriebsorganisation wird viel mit Druck gearbeitet, damit die Mitarbeiter ihre Umsatzziele erreichen.
Vermutlich gab es Unternehmen, bei denen der Druck noch höher war als bei MLP, aber mir hat es so schon gereicht. Als Lebensperspektive habe ich diese Tätigkeit nie betrachtet, obschon wir unseren Kunden stets versprochen haben, gemeinsam mit ihnen alt zu werden.
Lebensversicherungen waren damals die übliche Form privater Altersvorsorge. Noch heute gibt es 80 bis 90 Millionen Altverträge in Deutschland.
Wenn man sich überlegt, wie hoch damals die Kosten für die Kunden waren und wie günstig heute ETFs im Vergleich dazu sind, kann man im Nachhinein nur den Kopf schütteln.
Aber an Lebensversicherungen haben sich ganze Strukturvertriebe gesund gestoßen, zumindest die Führungsebenen.
Warum ich die MLP AG verließ
Ich bin ein eher sensibler Mensch und nicht unbedingt für den knallharten Vertrieb geschaffen. Da ist es besser, wenn man psychisch etwas robuster ist. Auch habe ich geistige Abwechslung vermisst, da es immer nur um die Optimierung seines Verkaufsgespräches ging. Damit haben wir bei MLP ganze Tage verbracht.
Auch liebe ich neue Herausforderungen und Geld ist eher ein extrinsischer Motivationsfaktor. Er motiviert mich nicht intrinsisch, also aus mir selbst heraus, solange ich halbwegs genug davon habe; und meine materiellen Ansprüche sind nicht so hoch.
Noch mehr Geld und noch viel mehr davon zu haben, reizt mich nur bedingt. Vor allem, wenn ich dafür Dinge tun muss, zu denen ich eigentlich gar keine Lust habe. Und unter Hochdruck zu verkaufen, gehört eindeutig dazu.
Trotzdem habe ich drei Jahre lang meine jährlichen Umsätze verdoppelt und das Gefühl kennengelernt, wie es ist, wenn im Monat mehr als 20.000 Mark auf dem Girokonto eingehen.
Meine Hauptwerte jedoch sind Freiheit und Unabhängigkeit und die kann ich als selbständiger Finanzblogger in idealer Art und Weise ausleben: Ich arbeite, wann ich will, wo ich will und wie ich will.
Schreiben erfüllt mich wesentlich mehr als nur zu verkaufen; es ist letztlich meine Berufung. Zudem bin ich jetzt richtig selbständig und befinde mich nicht mehr in dem Zwitterverhältnis in Bezug auf meine Selbständigkeit, wie ich es bei der MLP AG empfunden habe. Und der hohe Verdienst kam ja letztlich nur dadurch zustande, dass wir den in Bezug auf Finanz-Know how oft unbedarften Kunden das Geld in Form von hohen Provisionen aus der Tasche gezogen haben.
Letztlich war es ein absoluter Hammer, dass einem Kunden bei Abschluss einer Kapital-LV über 100.000 Mark rund 5.000 Mark an Abschluss- und Verwaltungskosten berechnet wurden, die er erstmal mit seinen Monatsbeiträgen bezahlen musste, bevor er anfing, Vermögen zu bilden. Aber das war damals branchenüblich. Es waren die goldenen Jahre der Allfinanzvertriebe.
Heute ist die klassische Lebensversicherung als Geldanlageprodukt praktisch tot. Dafür sorgt schon der aktuelle Rechnungszins von nur noch 0,9 Prozent p. a. Und Abschluss- und Verwaltungskosten gibt es nach wie vor. Damit ist die einstige Cash-Cow der Strukturvertriebe mittlerweile so gut wie nicht mehr existent.
Die Zukunft gehört eindeutig Exchange Traded Funds (ETFs) mit einer durchschnittlichen Kostenquote von 0,34 Prozent p. a. (mit sinkender Tendenz wegen des intensiven Wettbewerbs der ETF-Anbieter untereinander). Und ohne Ordergebühren bei einem Sparplan, wie u. a. bei dem Low-Cost-Broker Trade Republic.
Bei MLP machen heute viele Berater lange Gesichter, weil die Einkommen im Vergleich zu früher deutlich zurückgegangen sind. In den letzten Jahren ist das Unternehmen zudem eher geschrumpft als weiter gewachsen, wie zu meiner Zeit in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als MLP bis in den DAX aufstieg.
Ich hoffe, Dir hat der Erfahrungsbericht vom ehemaligen MLP-Berater Jürgen gefallen!
Dein Depotstudent Dominik
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Super Artikel. Als geschädigter Ex-MLP-Kunde kann ich nur zustimmen was hier geschrieben wurde. Mir wurden in meiner Unwissenheit auch auch zwei Basisrenten und eine private Rentenversicherung verkauft. Ich habe hier 12, 9 und 4 Jahre eingezahlt. Provisionen flossen reichlich. Nach über 10 Jahren waren die Fondsguthaben immer noch weit unter den eingezahlten Beiträgen. Der „Berater“ aka. Verkäufer meinte: „Die brauchen noch bis sie anlaufen.“ Geschätzte Opportunitätskosten ca. 50.000 Euro. Mittlerweile habe ich mich von meinem MLP-Versicherungs-Verkäufer getrennt. Dank sei Youtube- und Spotify-Channels wie Finanzfluss, Finanzwesir und Finanztip.
Gebt euch einen Ruck und trennt euch auch. Es ist nie zu spät und kann nur besser werden.
Euer Allgäuer MLP-Geschädigter